Andreas Jäckel „Begegnungen“

Ausstellung, Verwaltungsschule der Bundesagentur für Arbeit




Zur Eröffnung der Verwaltungsfachschule BfA Weimar im März 2001 präsentierte Andreas Jäckel eine Bilderausstellung unter dem Thema „Begegnung“. Zur Vernissage stellte die „kleinkunstbrigade Anna Kram“ ein themenbezogenes Rahmenprogramm zusammen. Die Laudatio hielt Sid Eisengurrer.


Grußwort zur Ausstellung


Sehr verehrte Damen und Herren!


Wenn Kunst allein subjektiver Ausdruck der individuellen Wahrnehmung der Künstlerin, des Künstlers ist, wie derweilen Protagonisten und Eingeweihte behaupten, dann fallen vielleicht auch die Kinder aus den Schnäbeln der Klapperstörche. Wie sie dahin kommen, bleibt genauso fragwürdig, wie die menschlichen Bemühungen im Vorfeld dieser Ereignisse. Von der Befriedigung ganz abgesehen.

Andreas Jäckels künstlerisches Schaffen beruht in der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, zurückschauend und im Gegenwärtigen gleichermaßen. Doch diese Auseinandersetzung basiert nicht auf der Ebene weltfremder Grübelei. Genauso wenig ist er distanzierter Beobachter, der fremde Einflüsse verleugnet und sich an einer aufgesetzten Einmaligkeit berauscht. Wahrnehmung und Ausdruck haben für ihn ihre Wurzeln im kollektiven Gedächtnis aller Menschen. Kunst, in seinem Fall die Malerei, ist deshalb für ihn ein Prozess, der im Diskurs entsteht.


Die Ausstellung, die heute eröffnet wird, stellte er unter der Überschrift Begegnungen zusammen. Begegnungen ist jedoch nicht als abstraktes Synonym gemeint, um der Sache einen Namen zu geben. Begegnungen steht für Unausgesprochenes und Tabuisiertes, für Sehnsucht und Freizügigkeit, für all das allzu menschliche Hin und Her und den ganzen Ärger, den wir damit haben. Natürlich meint Begegnungen auch das, was sich vermeintlich zwischen Kommerz und Konkurrenz aufgerieben hat: Liebe und Verantwortung.

Begegnungen steht zunächst einmal für das Zusammentreffen des Künstlers und den Verantwortlichen der Verwaltungsschule der Bundesanstalt für Arbeit, die dieser Ausstellung Raum boten.

Unbestritten ist die große gesellschaftliche Verantwortung dieser Einrichtung. Unbestritten ist aber auch die finanzielle Begrenztheit, mit der diese Einrichtung bisher und künftig kämpfte bzw. kämpft. Desto erfreulicher finde ich diese Begegnung. Trotz ihrer arbeitsmarktpolitischen Verantwortung beweist die Bundesanstalt für Arbeit, dass sie bereit ist, auch für Kunst und Kultur, für Breitenkunst und Soziokultur, eine Kerbe zu schlagen.

Zugleich zeigt aber auch Andreas Jäckel mit dieser Ausstellung an diesem Ort, dass er als Künstler nicht fernab irdischer Realitäten auf Wolke Sieben durch ein schöngeistiges Universum schwirrt. Er weiß, was abgeht. Er stellt sich der Kritik gemäß seiner sozialpädagogischen Herkunft, da wo `s brodelt. Eine Einrichtung, die Menschen aus- und weiterbildet, damit sie eine der umstrittensten Ressourcen der menschlichen Existenz verwalten, ist schließlich im engeren wie im weiteren Sinn ein sozialer Brennpunkt.

Das beide Seiten von dieser Begegnung profitieren steht meines Erachtens außer Zweifel. Schließlich gaben sie sich die Hand.

Des Weiteren steht Begegnungen im Sinne des Künstlers für Gemeinsames und Trennendes. Andreas Jäckel versteht darunter keine Gegensätze, denn so paradox es klingt, ist das Gemeinsame, nämlich all das, was Körper und Seele satt macht, die Ursache aller Komplikationen.

In seinen Bildern stellt Andreas Jäckel Menschen dar, wie sie mit diesen Komplikationen leben oder leben müssen. Ihm geht es dabei nicht um den ausgestreckten Zeigefinger, der agitierend am Ethos der Betrachterin, des Betrachters klopft, und dennoch bezieht er Stellung, nimmt Partei. Deshalb sind seine Bilder auch keine schönen Bilder, schöne Bilder haben kein Gewissen.

Zum Beispiel „Der alte Mann“:

An einem Holztisch vor einer mit Bildern dekorierten Wand sitzt ein alter Mann. Auf den Tisch ist eine Tasse Kaffee und eine Zigarrenkiste abgebildet. Mit den Fingerspitzen der einen Hand berührt er die Tasse, als wolle er sie von sich schieben. Mit der anderen Hand hält er eine Zigarre, um daran zu ziehen. Gestik und Mimik des alten Manns strahlen Ruhe und Würde aus. Und mit dieser Ruhe und Würde sieht er über den Tisch hinweg.

Als ich dieses Bild zum ersten Mal sah, hatte ich das Gefühl, der alte Mann schaut durch mich hindurch. Doch gleich darauf spürte ich, dass ich seinem Blick auswich. Er erinnerte mich in diesem Moment, wie ich in ähnlicher Weise in einer Kneipe einsam an einer der üblichen Problemlagen kurierte und ein Gespräch herbeisehnte. Doch die Welt zeigte mir die kalte Schulter. Gleich darauf fiel mir eine Situation ein, wie ich einmal einen alten Mann den Platz an meinem Tisch verweigerte, weil ich befürchtete, seine Problemlagen, würden mir den Abend vermiesen.

In der ersten Situation warf ich der ganzen Welt Oberflächlichkeit vor, welch kleinmütige Oberflächlichkeit von mir, die zweite Situation bewies es in der Tat. Ich fühlte mich durch dieses Bild ertappt.

Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und betrachtete dieses Bild näher. Einige Details, die ich bis dahin übersah, gewannen plötzlich an Bedeutung. Die Bilder im Hintergrund, die ich eingangs nur als füllendes Element wahrnahm, gaben sich mir nun als Schnittpunkte seines Lebens, zu erkennen. Er hatte sie hinter sich gelassen, ihnen den Rücken zugewendet, trotzdem waren sie präsent. Auch seine Augen schauten nicht suchend durch andere Menschen, vor ihnen liefen diese Erinnerungen vorüber: Verlorene Freunde, besiegte Ängste, die erste Liebe und die letzte, Tage ohne Schmerz. Die Kaffeetasse, die vor ihm auf den Tisch stand, und die Zigarre, deren Rauch er geruhsam in sich hineinzog, deuteten sich mir als Sinnbild von Erhabenheit und Genussfreude. Trotz aller Verluste und Niederlagen, die das Altern begleiten, schien er sich ein Teil davon bewahrt zu haben. Gleichermaßen gewann auch die Hand, welche der alte Mann auf den Tisch hielt, an Bedeutung. Sie erschien mir fortan wie ein Fingerzeig, der zum Platznehmen auffordert.

Der alte Mann hatte etwas zu erzählen, wollte sich vielleicht mitteilen, wenn man sich die Zeit nehmen würde für einen Kaffee und eine Zigarre. Er machte nicht den Eindruck, als erwarte er etwas, er machte einzig ein Angebot. Wie oft, ging es mir durch den Kopf, drängt es mich in Gesprächen, während einer Zigarettenlänge den Sinn des Lebens auszuspucken? Wann, grübelte ich, habe ich mir das letzte Mal Zeit genommen, einen Unbekannten zu zuhören?

Ich fühlte mich erneut ertappt. Das war vorerst genug.


Ein anderes Bild Andreas Jäckels, das mich in ähnlicher Weise zu vorübergehenden Grübeleien veranlasste, heißt „Deine Äpfelchen“. Dargestellt auf diesem Bild ist eine unverhüllte junge Frau. In ihrer Anmut erscheint sie als die Verführung schlechthin. Ihre schulterlangen roten Haare untermalen dies. Der Mythos rotes Haar ist ja weitgehend bekannt. Ihre Schönheit entspricht dem Zeitgeist. Ihre mädchenhafte schlanke Figur, die dem unbedarften Betrachter unwillkürlich 90–60–90 suggeriert, gebärdet sich zugleich lockend und zurückhaltend. Verstärkt wird dieser Ausdruck durch ihr leicht gesenktes, abgewendetes Haupt. Als ich dieses Bild betrachtete, kamen mir so Gedanken.

Was will uns der Künstler damit sagen? Denn eines erschien unfertig, befremdend. Das Gesicht der jungen Frau zeigt sich als weißer Fleck. Auf alten Landkarten wurden unbekannte und unerforschte Gebiete weiß markiert, ein für unsere heutige aufgeklärte Zeit schmählicher Vorwurf. Allein auf ihr Geschlecht reduzierte Zuschreibungen von Frauen geistern, wenn überhaupt, nur noch vereinzelt in modernden Machohirnen herum. Zudem haben die mannbaren Männer unserer Tage doch längst die eigenen femininen Anteile therapeutisch aufgearbeitet. Ich möchte die gesichtslose Darstellung dieser jungen, attraktiven Frau nicht auf eine gesellschaftskritische Dimension eingrenzen. Schließlich ist dieses Bild ein anspruchsvoller Akt. Und dennoch finde ich es irritierend als Mann.

„Begegnung“ heißt ein Aquarell Andreas Jäckels, dessen Geschichte sich um zwei Männer dreht. Die Männer sitzen an einen eingedeckten Tisch. Ihre zugewandten Gesichter und Körper, sowie eine ausgestreckte Hand, die den anderen berührt, verweisen auf eine innige Unterredung. Um die beiden Männer ist Kleinkram, den man in behaglichen Wohnungen entdecken kann, angedeutet. Warme Farben von Gelb über Orange bis zu kräftigem Rot, die die Szene im Vordergrund einbetten, wecken den Gedanken an eine Insel. Eine Wetterfahne weist Richtung See. Blaue Töne, auf der linken Seite das Meer und am oberen Bildrand den Himmel andeutend, bilden einen kühlen Kontrast dazu.

Ein Schiff liegt dort unter vollen Segeln im Hafen, zum Auslaufen gerüstet. Der Himmel um dieses Schiff ist aufgerissen, dadurch verliert die See ihre Bedrohlichkeit, ja vielmehr lockt sie wie ... Ja sie wissen schon!

In der rechten oberen Bildhälfte ist ein weiteres Schiff zu sehen. Dessen Segel sind eingeholt, als läge es schon längere Zeit auf Reede, als warte es.

In diesem Zusammenhang erscheinen auch die beiden Männer in ihrem Gespräch verständlicher. Als wären sie die Eigner dieser Schiffe, alte Freunde, die sich auf den Weltmeeren aus den Augen verloren hatten und deren Wege sich nun wieder kreuzen, alte Freunde, die wissen, dass sie sich seit ihrer Trennung verändert haben und neugierig darauf sind, die sich neben mancher Leckerei auch manches Seemannsgarn auftischen, um der Wirklichkeit mit ihren Rückschlägen ein Schnippchen zu schlagen, alte Freunde, die die Zeit, die begrenzte Zeit, die ihnen bleibt, nutzen, sich Kraft zu geben, Freunde, die auf den faulen Zauber der Wahrheit scheißen. Frei nach Andreas Jäckels Lebensphilosophie: Bist du gut zum Lebbe, ist das Lebbe gut zu dir.

Diese Philosophie versucht Andreas Jäckel jedoch nicht nur in seinen Bildern umzusetzen. Er engagierte und engagiert sich ehren- und hauptamtlich im Umfeld vieler Projekte und Veranstaltungen. Denn auch dies versteht der Künstler unter Begegnungen. Als Mitglied des Kulturrausch e. V. zeichnete er sich bei der Organisation und Gestaltung der Open airs in Bittstädt und der Cesky Festivals aus, für die kleinkunstbrigade Anna Kram entwarf er z. B. die Bühnenbilder für die Theaterstücke „Babsi oder die Ideen sind frankiert“ und „Babsi oder Das Sein ist instabil“ und die Kleinkunstveranstaltungen „Triskaidekaphobie“ wären ohne sein Mitwirken, erst gar nicht entstanden. Darüber hinaus bewies Andreas Jäckel sein organisatorisches und kreatives Talent bei den Erfurter Feldfestspielen und zahllosen Kinderfesten. Und mancher Spielplatz in Erfurt ist erst durch seine Ideen zum Spielplatz geworden.

Ich könnte diese Aufzählung noch um einiges fortführen, doch ich spüre seinen Blick, ich habe seinen Blick schon beim Schreiben gespürt, ich soll den Ball flach halten. Denn auch das versteht Andreas Jäckel unter Begegnungen, sich zurückzunehmen.

Zum Schluss möchte ich noch anmerken, dass sich Begegnungen auch auf den heutigen Abend bezieht, vor allem auf sie, die heute so zahlreich erschienen sind. Ich denke nicht, dass jemand sein Kommen auf den Klapperstorch schiebt, sondern den eigenen Bemühungen zuschreibt. Von der Befriedigung ganz abgesehen.

In diesem Sinne: Begegnen sie sich!