Thüringer Allgemeine, 20.10.2021, schreibt:


KLARTEXT:

Online hören: https://www.thueringer-allgemeine.de/podcast/jes/ehrenamtler-reisener-ueber-den-erfurt-marathon-ein-bisschen-wie-eine-sucht-id233620489.html

„Ein bisschen wie eine Sucht"

Interview der Woche: Sigurd Reisener über den Erfurt-Marathon, der sich dem Mainstream widersetzt und Gutes tut


Von Jakob Maschke


Erfurt. Marathon laufen und verweilen passt eigentlich nicht zusammen. Außer beim Erfurt-Marathon, der am vergangenen Samstag zum achten Mal ausgetragen wurde. Mal freiwillig anhalten, um die Aussicht in Ruhe zu genießen, mal unfreiwillig, weil die Ampel gerade auf Rot steht. Der Erfurt-Marathon ist bewusst und wohltuend anders.

Hinter alldem stehen Sigurd Reisener und seine Mitstreiter von der Kleinkunstbrigade Annakram, die sich nicht nur mit dieser Veranstaltung seit Langem sozial engagieren. Wir sprachen mit Reisener über die Herzensangelegenheit Erfurt-Marathon, Fragen nach Vergrößerung, die Freude am Besonderen und die Herausforderung Corona.


Nachdem der Erfurt-Marathon 2020 coronabedingt virtuell stattfinden musste, wurde er diesmal wieder ausgetragen, wenn auch verschoben auf Oktober. Sind Sie zufrieden mit der achten Auflage?

Wir sind sehr zufrieden, und die Läufer waren es auch. Wir hätten uns natürlich noch ein paar Sportler mehr gewünscht - von den 250 Startplätzen wurde nur etwa die Hälfte genutzt. Da hat Corona leider ein paar Lücken gerissen. Trotzdem konnten wir genug engagierte Ehrenamtler gewinnen, die sich mehrere Stunden mit kalten Füßen ins Zeug gelegt haben. Es wurde dann ja noch ein richtig schöner Spätsommertag, also alles super.


Wie immer gehen zehn Euro der Startgebühr jedes Teilnehmers und der weitere Erlös an einen guten Zweck. Diesmal kommt das Geld dem Kinder- und Jugendtheater Schotte zugute - gerade eine Kultureinrichtung kann es in Coronazeiten sicherlich gut gebrauchen.

Genau. Letztes Jahr kamen beim virtuellen Lauf immerhin 1000 Euro zusammen. Aber das reichte uns nicht, deshalb ist die Schotte dieses Jahr nochmal dran, obwohl wir eigentlich immer wechseln. Diesmal werden es etwa 2000 Euro.


Einige Läufer waren sogar der Meinung, der Erfurt-Marathon sei im Herbst schöner als im Sommer. Wird er nächstes Jahr dennoch wieder eher stattfinden?

Ja, wir werden ihn wieder auf Anfang September vorziehen. Diesmal war das Wetter zwar ideal für einen Marathon, aber es kann im Oktober auch regnerisch und kalt sein.


Immer wieder wird die Frage laut, ob man den Streckenverlauf mal ändern und die Veranstaltung weiter professionalisieren könne, um schnellere Zeiten und größere Starterfelder zu ermöglichen, was auch die Spendensumme erhöhte.

Das stimmt. Wir sind aber ein sehr kleiner, ausschließlich ehrenamtlicher Verein. Wir haben viele freiwillige Helfer, aber viel größer als mit 250 Startern können und wollen wir es nicht bewerkstelligen. Da bräuchte man andere Regeln und Sicherheitsvorkehrungen, und bei einem deutlich größeren Starterfeld wäre der Marathon bei den steigenden Inzidenzwerten vielleicht gar nicht erlaubt worden. Zudem müsste man noch mehr Geld vorschießen, dass man dann bei einer Absage nicht wieder reinbekäme. Machen wir doch erstmal wieder die 250 voll, dann sehen wir weiter.


Und das der Erfurt-Marathon im Beliebtheitsranking der deutschen Marathons sehr weit vorn steht, hat er ja letztlich seinem Ruf zu verdanken, bewusst anders zu sein.

Klar, das Verhältnis zu den Läufern ist durch unser Konzept sehr familiär. Die freuen sich auf unsere selbstgetöpferten Medaillen, das ginge bei 500 Startern vielleicht schon nicht mehr. Auch unser ÖkoKonzept, mit Bio-Produkten als Verpflegung, ließe sich bei einem deutlich größeren Teilnehmerfeld nur schwer umsetzen. Uns würde das, glaube ich, überfordern und vielleicht auch gar nicht mehr so viel Spaß machen wie jetzt.


Mit der Kleinkunstbrigade Annakram, die Sie 1997 mitgründeten und die seit 2004 ein eingetragener Verein ist, tun Sie viel Gutes, haben unter anderem dabei geholfen, in Kambodscha eine Bibliothek zu errichten. Sind weitere Projekte und Sportevents geplant?

Nächstes Jahr gibt es auf jeden Fall den Erfurt-Marathon 9. Für wen dann gespendet wird, ist noch offen. In Kambodscha sind wir auch noch aktiv; haben wieder ein paar Euro gesammelt, um die Bibliothek, die wir mit aufgebaut haben, am Leben zu erhalten. Mit der thüringisch-kambodschanischen Gesellschaft arbeiten wir seit vielen Jahren zusammen. Darüber hinaus schauen wir mal, was an kleinen Projekten noch möglich ist. Sachen wie eine Lesung oder Ausstellung - wir kommen ja aus dem Kulturbereich - organisieren wir immer recht spontan. Damit, mit dem Erfurt-Marathon Marathon und unserem Engagement in Kambodscha sind wir als kleiner Verein mit im Kern etwa zehn Leuten gut ausgelastet.


Laufen Sie eigentlich selbst noch? Es gibt ja die witzige Anekdote, dass sie beim Erfurt-Marathon gleich zweimal glaubten, Letzter geworden zu sein, obwohl sich beide Male noch jemand auf der Strecke befand.

(lacht) Das stimmt. Einmal wurde sogar das Ziel schon abgebaut, der Irrtum dann aber bemerkt und es schnell wieder aufgebaut. Jetzt bin ich meist in der Viererstaffel dabei, laufe den ersten Abschnitt, damit ich schnell wieder am „Basislager" bin, dort wird jede Hand gebraucht. Wen einmal dieses Lauffeuer erfasst hat und der Wunsch, Gutes zu tun, der kann schwer wieder loslassen. Das ist ein bisschen wie eine Sucht.


Wie kann man Ihren kleinen Verein dabei unterstützen?

Auf unserer Homepage www.annakram.de findet man alles über uns, auch die Kontaktdaten. Schreiben Sie uns eine E-Mail! Wir antworten sofort, vereinbaren ein Treffen und besprechen- alles weitere. Wir sind für jede Hilfe sehr dankbar.



Das ganze Gespräch zum Anhören im Podcast „JES! - Jakobs Erfurter Sporttalk" finden Sie auf den Online-Portalen der TA und TLZ.



Ideenreich: Sigurd Reisener vom Verein Annakram. Foto: Annakram e. V.